Oberstdorf ist geprägt vom Wintersport. Aber nicht nur Skifahrer und Snowboarder erleben hier ihr Wintermärchen.
November in Oberstdorf. Ich mache eine kleine Pause und schaue aus meinem Bürofenster. Der Spätherbst hat deutlich an Fahrt aufgenommen. Seit ein paar Tagen sind die Berggipfel verschneit, es ist merklich kühler und grau und nass. Deshalb knistert hinter mir das Feuer im Kachelofen. Ich habe mir einen Tee gemacht. Einen Früchtetee, mit würzigem Geschmack nach Spekulatius, im Moment mein Lieblingstee. Ich hänge so meinen Gedanken nach und vermisse jetzt schon die Wärme und das Licht des Sommers. Plötzlich klingelt das Telefon. Es ist Frau Mohn. Ich kenne sie schon seit vielen Jahren als Gast. Sie klingt bedrückt und tatsächlich erzählt sie mir auch gleich, dass es ihr im Moment nicht so gut geht. Sie ist genervt und gestresst: von der nasskalten, hektischen Großstadt, beruflich ist sie stark eingespannt, gesundheitlich angeschlagen. Im Januar habe sie ein paar Tage frei, erzählt sie mir. Eine Auszeit in Oberstdorf täte ihr gut, glaubt sie. Doch Skifahren könne sie nicht, deshalb habe sie über einen Winterurlaub in Oberstdorf bisher noch nie nachgedacht.
Nicht alle kommen zum Skifahren hierher
Ich erzähle ihr von mir und meinem Winter in Oberstdorf. Ich liebe das Winterwandern. Skifahren kann ich nämlich auch nicht, aber ich liebe die kalten, klaren, sonnigen Wintertage hier. Wenn meine Familie sich auf der Skipiste vergnügt, ziehe ich mich warm an und schlüpfe in meine gefütterten Wanderstiefel, die mit dem guten Profil, weil es halt doch immer mal rutschig und vereist sein kann. In meinem Rucksack ist warmer Tee und eine kleine Brotzeit. Und auf jeden Fall ist eine besondere Wanderkarte dabei, extra zum Winterwandern aufgelegt. Auf drei Höhenlagen gibt es hier ein 140 Kilometer langes, präpariertes und gesichertes Wanderwegenetz. Da muss man sich schon orientieren können. Anhand der aktuellen Wettervorhersage suche ich die Länge meiner Touren aus. Winterwandern auf Schnee ist ein bisschen anstrengender, als Wandern im Sommer. Für die gleiche Wanderung brauche ich im Winter etwas länger, dabei wird es auch noch früher dunkel. Ich habe gelernt, diese Verhältnisse zu berücksichtigen und plane meine Rückkehr immer für spätestens 16.00 Uhr am Nachmittag.
Winterliche Wander- und Spazierwege
So gut vorbereitet ziehe ich dann mit meinem Hund zum Winterwandern ins dick verschneite Trettachtal. Der Christlessee dort fasziniert mich jedes Mal aufs Neue, wie er da so liegt, in absoluter Stille. Auch im dicksten Winter ist der kleine See nicht zugefroren, denn er wird von Karstquellen gespeist, die ganzjährig eine Temperatur von vier bis sechs Grad haben. Ein anderes Mal gehe ich dann vielleicht den Edmund-Probst-Weg zum Freibergsee. Von hier aus, hat man einen wunderbaren Blick auf Oberstdorf und den bizarren Schneck. Die nächste Gelegenheit zum Winterwandern nutze ich und fahre mit der Bahn auf´s Nebelhorn. Dann nehme ich den Weg zum Zeigersattel. Von dort aus sieht man den zugefrorenen Seealpsee, der irgendwie geheimnisvoll ausschaut. Auch der Blick über die verschneiten, zahllosen Berggipfel begeistert mich immer wieder.
Bewegung in der freien Natur wirkt auch an kalten Wintertagen gesundheitsfördernd
Begeistert zeigt sich jetzt auch Frau Mohn, sie klingt ganz euphorisch und fragt mich nach einer Ferienwohnung im Januar. Dass ausgedehnte Winterwanderungen die Abwehrkräfte stärken und die Produktion vom Glückshormon Serotonin anregen, habe sie schon gehört. In Verbindung mit einem Oberstdorf-Urlaub klänge es in ihren Ohren wie ein Wundermittel gegen ihre Abgeschlagenheit.
Wie es ihr nach der Auszeit geht, weiß ich heute natürlich noch nicht. Ich aber sitze immer noch hier, mit meinem Tee in der Hand und fühle mich ebenfalls deutlich besser. Kalt und grau und nass macht mir jetzt nicht mehr so viel aus, weil ich plötzlich meine geliebten kalten, klaren, sonnigen Wintertage ganz nah vor mir liegen sehe. Und dann schlüpfe ich wieder in meine gefütterten Winterwanderstiefel.....